Medikamente: Nebenwirkung Selbstmord

Nach Einnahme eines Malariamittels kommt es zu fatalen Zwischenfällen – doch der Hersteller warnt nur Ärzte und Patienten in den USA.

Süddeutsche Zeitung 24.09.2002

Von Elke Brüser

Auf Madagaskar erlebte der junge Holländer weit mehr, als er ertragen konnte. Es begann damit, dass er glaubte, sich Malaria eingefangen zu haben, und deshalb zwei Tabletten Lariam schluckte.

Doch was sich dann in ihm abspielte, war mehr als Abenteuertrip. Gequält von Angstzuständen und Wahnvorstellungen schrieb der 33-Jährige drei Tage später einen Abschiedsbrief an seine Frau – und schnitt sich dann mit einem Taschenmesser die Kehle durch.

Panische Angst, Verwirrtheit, Depression

Das ist einer der schrecklichsten Berichte, die Ärzte dem Pharma-Informationsdienst Arznei-Telegramm zum Malariamittel Lariam übermittelt haben. Alle Meldungen belegen, dass Tabletten mit dem Wirkstoff Mefloquin Unruhe, panische Angst, Verwirrtheit und Depressionen auslösen können (1).

Das weiß auch der Hersteller: Schließlich hat die Firma Roche diese Risiken in ihrer deutschen Fachinformation für Ärzte und Apotheker aufgelistet.

Auch von „Halluzinationen, Aggression und psychotischen oder paranoiden Reaktionen“ ist dort die Rede. Im Archiv hütet der Pharmakonzern sogar Berichte von acht Selbstmorden, die in Zusammenhang mit dem Malariamittel verübt wurden.

Warnhinweise: „keine“

Dennoch steht in der Fachinformation unter dem Punkt Warnhinweise: „keine“. „Eine ursächliche Beziehung“ zwischen Suiziden und der Arznei „konnte nicht nachgewiesen werden“, so die lapidare Begründung.

In den USA ist die Firma neuerdings offener. Dort schreibt Roche seit Juli unter der Rubrik Warnhinweise nicht nur, dass „einige Fälle von suizidalen Halluzinationen und Selbstmord berichtet“ wurden.

Der Konzern empfiehlt auch, Lariam bei Angst, Unruhe und Verwirrtheit wieder abzusetzen, weil diese „als Vorläufer für schwerere Ereignisse betrachtet werden können“. Per Brief will Roche die Ärzte in den USA sogar auf die veränderte Produktinformation hinweisen.

Soldaten töteten ihre Ehefrauen

Dass die Firma jenseits des Atlantiks zu deutlichen Warnungen bereit ist, könnte zwei Ursachen haben: So musste sie jüngst eingestehen, dass sie im Mai dieses Jahres die Witwe eines Afrikatouristen mit Geld besänftigt hat. Bei dem Mann war es 1998 nach der Einnahme von Lariam zu schwersten psychischen Veränderungen gekommen, in deren Folge er sich das Leben nahm.

Zudem untersucht das Pentagon derzeit weitere, nicht minder schreckliche Fälle. Vier Soldaten töteten im Sommer in Fort Bragg ihre Ehefrauen, zwei der Männer begingen daraufhin Selbstmord. Ob dies unter dem Einfluss von Lariam geschah, ist derzeit noch offen. Drei der Männer waren aber zuvor in Afghanistan stationiert, wo US-Soldaten wie auch in anderen Malariagebieten der Welt grundsätzlich Lariam zur Prophylaxe erhalten.

Schon jetzt befürchten Kritiker, dass bei den Untersuchungen der Vorfälle nicht viel herauskommen wird. Denn wenn dem Malariamittel eine Rolle bei den Morden und Selbstmorden nachgewiesen wird, fällt das auf die US Army zurück.

Schließlich hat sie den Wirkstoff selbst entdeckt – als sie zur Zeit des Vietnamkriegs mit großem Aufwand nach einem Malariamittel suchte. Erst 1985 hat der Konzern Hoffmann-La Roche die Lizenz für Mefloquin erworben und die Substanz als Lariam vermarktet.

Mittel ist schwer zu ersetzen

Bis heute ist das Mittel schwer zu ersetzen, weil es auch vor Malariaerregern schützt, gegen die das Medikament Resochin nichts mehr ausrichten kann. Vor allem in Afrika gibt es zahlreiche Resochin-resistente Stämme, und eine heftig beworbene Lariam-Alternative der Firma GlaxoSmithKline („Malarone“) ist teuer und noch wenig erprobt.

Trotz des sicheren Marktes und der mitunter schweren Nebenwirkungen erklärt die Firma Roche auf Anfrage, dass sie die Fachinformationen außerhalb der USA nicht ändern wird. Dabei treten Probleme nicht nur in der Heimat von Touristen und Soldaten auf. Auch in Afrika stellen aufmerksame Ärzte inzwischen häufiger psychische Störungen in Verbindung mit Lariam fest (2). Manche gehen nach dem Absetzen der Substanz wieder zurück, andere jedoch nicht.

Dass diese Nebenwirkungen gerade in Regionen mit schlechter medizinischer Versorgung fatale Folgen haben können, zeigt auch der Suizid des Madagaskar-Reisenden.

Hätte der Holländer Lariam bereits zu Hause zur Prophylaxe eingenommen und – ebenso wie sein Arzt – von den möglichen Komplikationen gewusst, dann wäre er mit seinen Wahnvorstellungen nicht allein gewesen. So begab er sich in Madagaskar zwar in eine Klinik, und die Ärzte dort behandelten ihn auch: aber nur wegen Malaria.